Grundsätzlich ist Streit etwas Positives, obwohl bei den meisten Menschen, Streit als etwas ganz Negatives im Bewusstsein ist. Aus Angst vor der Auseinandersetzung werden Konflikte dann oft "unter den Teppich gekehrt", wo sie weiter schwelen. Dabei bedeutet faires Streiten: "Du bist mir nicht egal!" Und der Streit an sich, ist eine Möglichkeit, in einer Angelegenheit, die einem sehr wichtig ist, den eigenen Standpunkt klar darzustellen und zu verteidigen.
Ziel muss allerdings immer sein, dass eine Annäherung stattfindet, dass man sich aufeinander zubewegt und eine gemeinsame Lösung anstrebt. Das setzt voraus, dass man konfliktfähig ist, dass man auch einmal nachgibt und sich miteinander arrangiert, wenn verschiedene Meinungen vorhanden sind. Indem man kleine Gemeinsamkeiten in der Verschiedenheit der Meinungen findet, diese versucht zu verstärken und Perspektiven daraus entwickelt, kommt man auf einen gemeinsamen Nenner.
Entscheidend ist also, dass es keinen Gewinner und Verlierer gibt. Jeder muss das Gefühl haben, gemeinsam eine Lösung gefunden zu haben, mit der man leben kann. Sonst sind Konflikte abermals vorprogrammiert. Auch wer aus Harmoniebedürfnis stets zurücksteckt, bekommt auf Dauer das Gefühl, auf der Strecke zu bleiben.
Streit zwischen Ehepartnern ist die eine Sache. In landwirtschaftlichen Familienbetrieben spielt auch der Streit zwischen den Generationen eine gewaltige Rolle. Ein Rat: "Wenn es Probleme zwischen den Generationen gibt, dann muss das junge Paar miteinander ausdiskutieren und gemeinsam entscheiden, welche Meinung es zu einer Sache vertritt.
Wenn es diese Auseinandersetzung erst vor den Altenteilern austrägt, dann sehen die Eltern eine Möglichkeit, den Sohn oder die Tochter auf ihre Seite zu ziehen und der angeheiratete Partner fühlt sich als Außenseiter, allein und unverstanden." Es muss ein Verhältnis von Paar zu Paar sein. Wenn sich das junge Paar einig ist, dann ist das ein eindeutiges Signal gegenüber den Eltern, dass der Platz von Sohn oder Tochter beim Ehepartner ist.
Streit schadet eigentlich nur dann, wenn er verletzend ist und sich nichts Neues daraus entwickelt. Faires, konstruktives Streiten kann man allerdings lernen. Denn sehr vieles im Streit kann durch die Art und Weise wie es gesagt wird gelöst werden.
Eine wichtige Regel ist, sich nicht in anklagenden "Du-Botschaften" zu vermitteln, da das "Du" bevormundend wirkt und Aggressivität heraufbeschwört. Besser sind "Ich-Botschaften", bei denen man ausdrückt, wie man eine bestimmte Situation, ein bestimmtes Verhalten empfindet. Besonders hilfreich ist es auch, Botschaften zu wiederholen: "Habe ich Dich richtig verstanden? Du meinst Dieses und Jenes." Allein durch das bloße Wiederholen können Missverständnisse ausgeräumt und eine Aggression aus dem Gespräch gezogen werden. Solche Gesprächstechniken kann man in Paarseminaren lernen. Sie sind wichtiges Handwerkszeug bei der Lösung von Problemen. Doch bei aller Disziplin darf eines nicht zu kurz kommen: die Gefühle. Dass diese hochkommen und ausgelebt werden ist ganz wichtig. Andernfalls entwickeln sich daraus Wut und Rachegelüste.
Ein Konflikt legt sich nicht, wenn negative Gefühle nicht zugelassen werden. Anstatt laut und wütend zu werden, ist es besser die Gefühle mit der Sprache auszudrücken wie z. B. "ich bin wütend, ich bin enttäuscht, das verletzt mich." Dann kann sich der andere oder die andere besser hineindenken und Kritik leichter annehmen.
Wenn sich Partner ineinander einfühlen können, wenn ihnen bewusst wird, wie sehr sie den anderen mit etwas verletzt haben, ist bereits der erste Schritt zur Versöhnung gemacht. Wenn sie sich dann noch bewusst machen, dass ja nur ein oder wenige Punkte stören, es aber viele Punkte gibt, bei denen sie sich verstehen, dann kann man an diesen positiven Stellen wieder ansetzen und aufeinander zugehen.
Oft ist der Übergang vom Streit zur Wiederannäherung zaghaft. Besonders tiefgehender Streit, in dem persönliche Verletzungen offen gelegt werden, bedarf nach der Eskalation einer Phase des Rückzuges, in der die Partner die Eindrücke, die sie im Streit gewonnen haben, innerlich verarbeiten. Dabei geht es dann nicht nur darum, die seelischen Wunden auszuheilen, sondern auch das eigene Verhalten zu überdenken, einzusehen, dass man selbst auch aus der Rolle gefallen ist.
Der Rückzug nach dem Streit ist somit eine Zeit, in der sich jeder oder jede auf sich selbst konzentriert und seine Gefühle überdenken kann. Für die Bewältigung der Enttäuschungen ist wichtig, diese Einsamkeit auszuhalten, auch wenn es schwer fällt. Die Versuchung, eine Versöhnung überstürzt herbeizuführen, ist sehr groß. Dabei ist es äußerst wichtig, den richtigen Zeitpunkt abzuwarten, an dem beide Partner in der Lage sind, sich wieder füreinander zu öffnen. Denn Versöhnung ist mehr als vergessen und verzeihen.
Versöhnung bedeutet ein neues Aufeinanderzugehen, bei dem die Partner die Chance haben, ihre Beziehung neu festzulegen. Das kann in einem Fall zu einem abgekühlten, distanzierteren Verhältnis führen, weil Partner vorsichtiger im Umgang miteinander geworden sind. In anderen Fällen mündet Streit jedoch in eine größere Innigkeit und Vertrautheit, vor allem wenn es gelungen ist Hindernisse und Missverständnisse auszuräumen und unumstößliche Grenzen anzunehmen.
Eine realistische Sicht des Streitens darf aber auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass manche Situationen eine Versöhnung nicht mehr möglich machen. Jedoch ist das viel seltener der Fall, als oft befürchtet. Und selbst wenn dies als einziger Ausweg bleibt, hat man damit immerhin eine Klärung der Situation erreicht und die vorangegangene Ungewissheit beseitigt.
Für einen Neuanfang nach einem Streit ist es wichtig, sich immer wieder bewusst Zeit zu nehmen für Gespräche, bei denen man Erwartungen, Gefühle und Dinge anspricht, die einen persönlich berühren. Wenn man solche Zeiten fest einplant, ist das eine sehr wertvolle "Investition" in die Beziehung, denn damit lernen Partner sich besser verstehen. So gehören Enttäuschungen, Streit und Versöhnung sicher nicht zu den schönen Seiten des Familienlebens. In ihnen steckt dennoch die Chance zu einem lebendigen, partnerschaftlichen Miteinander. Letztlich sind sie jedoch unvermeidbar, wenn moderne Beziehungen Belastungen standhalten sollen.
Fritz Kroder, Bamberg, Landwirtschaftlcihe Familienberatung